Description
Kleine Frau im Mond entführt in die Ateliers der Filmindustrie des Dritten Reiches. Deren Kreative versuchten zu überleben und dennoch ihr filmkünstlerisches Handwerk auszuüben, stets bedroht von Zensur, Verhaftung und Einziehung zur Wehrmacht. Der Roman begleitet und illustriert aus der Perspektive der 16-jährigen Mara Prager im Sommer 1944 die Dreharbeiten eines der bekanntesten und künstlerisch wertvollsten Filme des Dritten Reiches, „Unter den Brücken“. Detailliert werden historische Persönlichkeiten, Schauplätze und Verfahren geschildert.
Stimmen zum Buch:
„Das Buch ist akribisch recherchiert, die Historisierung von Science-Fiction-Literatur total interessant und am Ende richtig spannend. Aufgrund meiner Beschäftigung mit dem Luftkrieg kamen mir viele Schilderungen des Luftkriegsalltags vertraut vor. Was die militärischen Details und die Stimmung insgesamt angeht, ist der Roman absolut auf der sicheren Seite.“
Dr. habil. Markus Pöhlmann. Militärhistoriker, Potsdam
„Um die Figur der jungen Mara entspannt sich in nur wenigen Monaten im Jahre 1944 eine unglaublich reiche Lebensgeschichte. Im Begleiten dieser wissbegierigen und mutigen Persönlichkeit ergibt sich bestens vermittelte Geschichte von Nazi-Diktatur, Widerstand, Filmgeschichte und auch dem Leben ganz normaler Bürger zwischen Bomben, Hoffnung und Überlebenswillen. Ein Lob verdient die sehr genaue Beschreibung aller Charaktere, bis in kleinste Details ihrer Gefühlsregungen, die genaue Beobachtung der Örtlichkeiten, die schöne Auflösung der so reichhaltigen Szenerien. Ein Roman, spannend wie ein Krimi. Nazi-Diktatur aus einer ganz neuen Perspektive. Dass dies alles zusammen so gut funktioniert, basiert auf dem sehr schönen, eingängigen Schreibstil. Rundum ein Genuss zum Lesen.“
Adrian Kutter. Biberach a.d. Riß. Filmhistoriker und Begründer der Biberacher Filmfestspiele
„‘Kleine Frau im Mond‘ hat das Verdienst, Science-Fiction und Untergrundkultur zur Zeit des Dritten Reiches sichtbar und verständlich zu machen. Fast vergessene Kleinode der Phantastik werden eingeflochten und es entsteht ein plastisches Abbild einer furchtbaren Zeit, die für künstlerisches Schaffen nur wenig Raum ließ. Und doch suchten und verteidigten Kreative ihre Nischen in der Hoffnung, dass eine bessere Zukunft kommen möge.“
Heinz J. Galle. Unterhaltungsforscher, Leverkusen
„‘Kleine Frau im Mond‘ verdeutlicht insbesondere die Vorgänge hinter den Kulissen der Filmindustrie. Realistische Charaktere verkörpern Menschen und ihre Hoffnungen und Ängste, die auch jugendlichen Leserinnen und Lesern von heute nahe sind. Dadurch wird der Roman zu einem begehbaren Geschichtsbuch und empfiehlt sich für den Einsatz im Schulunterricht."
Dr. Karsten Jung. Historiker und Gymnasiallehrer, Waldshut
Die Geschichte
Frühsommer 1944 in der Reichshauptstadt Berlin: Zwischen sich ausbreitenden Trümmerwüsten, der Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 72 Stunden, Rohstoffmangel und Lebensmittelknappheit kämpft die Kultur ums Überleben. Gefördert vom Reichspropagandaministerium veröffentlicht die deutsche Filmindustrie eine Produktion nach der anderen. Gegen alle Widrigkeiten versuchen die Kreativen der Studios in Babelsberg oder Tempelhof ihre technische und dramaturgische Spitzenstellung in Europa und der Welt zu bewahren. Germanisierter Jazz und bislang verfemte Musik werden unter dem Einfluss der populären Feindsender als ‚moderne deutsche Schlagermusik‘ toleriert.
Unterhaltungsliteratur, Pulp-Fiction, wird hingegen als ‚unangemessen dem Ernst der Zeit‘ und aufgrund zunehmender Papierknappheit zunächst verdrängt und später verboten, genießt im Untergrund aber dennoch weite Verbreitung bis in höchste Kreise von Staat und Rüstung hinein. Die Anziehungskraft der Kulturindustrie ist ungebrochen, die Menschen sehnen sich nach Abwechslung und Zerstreuung - der Preis für die Mitwirkenden ist jedoch hoch: permanente Zensur, Willkür, Bespitzelung und Denunziation entzweien Freunde und Familien. Wer nicht ständig Höchstleistung bringt oder gar die Verhältnisse kritisiert, riskiert den Fronteinsatz, die Strafkompanie oder wird in den Selbstmord getrieben.
Mara Prager wird am 20. April 16 Jahre alt – ausgerechnet an Führers Geburtstag. Sie hat nur einen Wunsch: Raus aus der Tristesse ihres Daseins als Fahrkartenverkäuferin der Reichsbahn im Vorortbahnhof Zehlendorf-West und hinein in die Welt der Zukunft. Phantastische Welten sind ihre Leidenschaft. Sie liebt das Kino und ganz besonders Weltraumfilme. Mara liest Groschenhefte ebenso wie ernsthafte populärwissenschaftliche Abhandlungen über die Weltraumfahrt.
Ihre Mutter starb bereits einige Jahre zuvor, ihr Vater Bruno leitet ein Reichsbahnstellwerk südlich Lichterfelde außerhalb von Berlin und ist aufgrund der wechselnden Dienstschichten selten daheim. Im Haus Fasanenstraße 59 leben neben der Familie Prager das alte zänkische Ehepaar Winkler, die Ingenieursfamilie Martens (Ingenieur Martens ist in der Rüstung tätig), der alte Professor Hübner – mit ihm die junge Bibliothekarin Lenore Carius – sowie der Hausmeister Butzke mit seiner Frau und dem Sohn Heinz. Heinz ist 14 Jahre alt und wirkt auf Mara sehr merkwürdig. Er spricht nicht, sondern steht meistens mit offenem Mund in der Gegend herum. Sein Vater gibt ihm ständig Aufträge, deren Sinn Heinz anscheinend nicht versteht: Er trägt Steine durch das Haus, stapelt Holz im Frühsommer für das Winterhilfswerk oder versucht Regen mit einer Flasche aufzusammeln. Erst spät erkennt Mara, dass Heinz sein eigenes Geheimnis hat.
Eine Wohnung im Haus steht leer, schon seit die Pragers dort wohnen. Eines Tages beginnt der Blockwart Werner Kämmerlin sich für diese Wohnung zu interessieren und plötzlich baut Hausmeister Butzke ein Holzgerüst und die leerstehende Wohnung wird als baufällig versperrt – ohne dass in der Nähe aber auch nur eine einzige Luftmine niedergegangen wäre.
Ein wichtiger Bezugspunkt für Mara ist der Laden des alten Zeitungshändlers Wilhelm Darburg am Bahnhof Zoo. Hier bekommt sie nicht nur unter dem Ladentisch seltene deutsche und internationale Groschenhefte, sie trifft auch Personen der Zeitgeschichte wie Wernher von Braun, den ehemaligen Reichsfilmintendanten Dr. Hippler, den Dokumentarfilmer und Marine-Presseoffizier Leo de Laforgue und andere, wie Friedrich-Werner von der Schulenburg, einen echten Grafen. Merkwürdige Dinge bringt sie in Erfahrung: Der alte Graf mit dem edlen Habitus, der Wilhelm Darburg immer wieder besucht und mit dem er freundschaftlich verkehrt, war früher deutscher Botschafter in Moskau und davor Gesandter in Teheran. Dort, in Persien, haben sich der alte Darburg und der Graf auch kennengelernt. Von dort brachte er eine exotische Kette mit, deren Anhänger ständig matt zu leuchten scheint. Darburgs Erklärung ist, dass es sich um einen ‚Nour-Stein‘ handele, der einen Teil des Wissens der antiken islamischen Welt in sich trage. Als sie hört, dass der alte Mann nicht immer schon Zeitungshändler, sondern bis 1934 sogar Legationssekretär in Persien war, staunt sie nicht schlecht. Was er und der Graf häufig im Hintergrund des Ladens besprechen, bleibt ihr weitgehend verborgen. Aber Ende Mai verabschiedet Darburg seine Familie aus dem bombenbedrohten Berlin und schickt sie nach Magdeburg.
Als Nachbarin der bekanntesten Schlagerkomponisten ihrer Zeit, Bruno Balz und Michael Jary („Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“, „Davon geht die Welt nicht unter“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“), macht das Mädchen in der Fasanenstraße die Bekanntschaft mit Simeon Wehrstein, einem Tontechniker bei der UFA, der ihr zu einem wichtigen Freund wird. Er ist zwar fast so alt wie ihr Vater und homosexuell. Aber er versteht sie wenigstens. Sie weiß jedoch nicht, dass Simeon seinerseits der Gestapo über Unregelmäßigkeiten und Kritisches beim Dreh berichtet, weil er als „175er“ verfolgt und dazu gezwungen wird. Er gewährt ihr Einblick in die Geheimnisse der UFA-Ateliers in Babelsberg und ein Traum wird wahr: Helmut Käutner, der Regisseur von „Große Freiheit Nr. 7“, gibt ihr eine kleine Nebentätigkeit als Lichthelferin und sie darf hautnah eine der letzten und schönsten Filmproduktionen des Dritten Reiches begleiten: „Unter den Brücken“ (der erst 1950 erstmalig gezeigt werden kann). Bei einem Atelierbesuch platzt sie in die Presseaufnahmen zum neuen Propagandafilm „Junge Adler“ und macht flüchtig Bekanntschaft mit dem jungen Hardy Krüger.
Mara träumt und hofft und sprengt so die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Epoche. Um an der Not der Zeit nicht zu verzweifeln, erzeugt sie sich ihre eigene alternative Realität: Sie sieht in den gewaltigen Flaktürmen am Zoo, im Humboldthain und im Volkspark Friedrichshain keine betongewordenen Mahnmale des Krieges, sondern Hightech-Vorrichtungen, mit denen man dereinst Signale in den Weltraum senden könne. Aus den Kriegswaffen von heute würde eine friedliche Menschheit der Zukunft einst Hoffnungstechnologien entwickeln, die Frieden und Wohlstand bringen sollen.
Ihr persönlicher Traum ist es indes zu schreiben und nicht Fahrkarten abzureißen. Sie ergreift die Chance und lässt sich dienstlich an die Wehrmachtauskunftstelle in die Hohenstaufenstraße „verleihen“ – nicht weit von ihrem Wohnort entfernt. Dort trifft sie den introvertierten Bücherwurm Manfred und freundet sich mit ihm an. Kurze Zeit später lernt sie Helmut kennen, einen Luftwaffenhelfer auf dem Flakturm am Zoo, mit dem Mara ihre Leidenschaft für die Sterne und den Film teilt; dieser führt sie nachts durch den L-Turm und zusammen spielen sie mit der hochentwickelten Funktechnik herum weil sie wissen wollen, ob auch aus dem Weltraum Signale zu empfangen sind. Mit diesen reichweitenstarken Ortungssystemen, so träumen die beiden, könnte man dereinst in den Weltraum lauschen.
Beim dienstlichen Besuch eines Kriegsgefangenenlagers nutzt sie die Gelegenheit, den dort inhaftierten amerikanischen Autoren Sam Goldstone anzusprechen und lässt sich dazu verleiten, einen Kassiber aus dem Lager zu schmuggeln, den allerdings die ausländische Presse als Beleg für Lücken in der deutschen Überwachung ausschlachtet. Mehr und mehr gerät Mara in das Visier von Gestapo und militärischer Abwehr. Auch dort kennt man bereits aus Simeons Berichten ihren Namen. Beide Dienststellen, seit März 1944 dem Reichssicherheitshauptamt unterstellt, arbeiten jeweils auf eigene Rechnung und verfolgen eigene Pläne.
Zwei Schicksalsschläge erschüttern innerhalb weniger Wochen ihre jugendlichen Gefühlswelten: Manfred wird zum Kriegsdienst versetzt und gilt bald in den Wirren der sich auflösenden Heeresgruppe Mitte an der Ostfront als vermisst. Helmut verspricht ihr, seiner ‚kleinen Frau im Mond‘, die Liebe und den Beginn der Zukunft – schon für den nächsten Tag. Doch dann setzen die Sirenen ein und die Flakstellung erhält einen Treffer. Auch Helmut bleibt zunächst vermisst. Nach dem 20. Juli 1944 zieht sich die Schlinge immer weiter auch um die Kulturschaffenden zu, über welche bislang das Propagandaministerium seine Hand gehalten hatte. Nahezu zeitgleich werden Simeon, Mara und Wilhelm Darburg verhaftet. Eine Fülle von Indizien scheint gegen sie zu sprechen.
Historischer Hintergrund
‚Kleine Frau im Mond‘ breitet fiktive Ereignisse vor einem realen Hintergrund des Zeitraumes vom 3. März bis zum 3. August 1944 aus und erlaubt das Eintauchen in die damalige Subkultur des Films. Die Geschichte macht bekannt mit Protagonisten und Strukturen. Vor dem inneren Auge entstehen die Flaktürme neu ebenso wie das historische Berlin und die Strände der Havel, an denen „Unter den Brücken“ gedreht wurde. Ausreichender Raum wird auch der zeitgenössischen deutschen und internationalen Pulp-Kultur gewidmet.
Zentrale Aussagen von zeitgenössischen Handelnden wurden übernommen und integriert, so dass auch in Nebenhandlungen der Realismus gewahrt bleibt und historische Personen trotz ihrer Einbettung in eine fiktive Handlung authentisch im Geist der Zeit bleiben und nicht verfälscht oder beschönigt werden. Zeitzeugenangaben loten Details des Alltages aus. Situations- oder Ortsbeschreibungen geschehen auf Basis historischer Unterlagen. Alltagswissen wurde anhand von Zeitungsmeldungen im Archiv des Historischen Museums in Berlin Mitte nachempfunden. Briefe und Fernschreiben entstanden analog zu Originaldokumenten im passenden Wortlaut.
Angestrebt wurde, die Figuren ohne Hilfe einer „Perspektive aus der Zukunft“ agieren zu lassen. Sie sagen, was man damals sagte und wissen, was man wusste oder wissen durfte, sie stellen in Frage, was zu kritisieren war.
Sämtliche historische Details wurden mithilfe von Originaldokumenten aus
- dem Archiv des Auswärtigen Amtes,
- des Landesarchivs Berlin,
- des Bundesarchivs,
- des Deutschen Historischen Museums,
- des Filmarchivs des Bundesarchivs in Hoppegarten,
- Bruno Balz-Archiv Online
- des Deutschen Filmmuseums und
- der Deutschen Kinemathek sowie mit
- Originaldrehbüchern und Setfotos aus Privatbesitz
aufwendig recherchiert. Wichtige Recherchen hinsichtlich der internen Abläufe offizieller Einrichtungen wie der Wehrmachtauskunftstelle wurden in Rücksprache und Abstimmung mit dem Bundearchiv Berlin erledigt. Ortsbeschreibungen basieren, wo verfügbar, auf Bauplänen öffentlicher Gebäude; sie wurden, so noch existent, besichtigt und dokumentiert. Andere Alltagsdetails entstammen bspw. historischen Fahrplänen oder Wetterberichten; authentische Uniformbeschreibungen umfassen Revisionen ab bestimmten Jahrgängen und entsprechen den zum Zeitpunkt des Geschehens gültigen Vorschriften.
Informationen aus der Krankenakte der historischen Person Alwine Duberg des Spitals Obrawalde bei Meseritz (heute in Polen) wurden beschafft, ausgewertet und in die Handlung integriert.
Lesungen
Ravensburg, 11. Oktober 2022, Video 1, Video 2, Video 3