Fake-News, Fälschungen und Fiktionen. Wie ›stern TV‹ in der Born-Affäre gelinkt wurde

»Nach der Authentizität hat aber nie einer gefragt …«.
Einblicke in Aufschneideräume des wiedervereinigten deutschen Fernsehens.

Köln, Dezember 1995:
Der junge Moderator Günther Jauch gerät in Erklärungsnot. ›stern TV‹ hat Berichte ausgestrahlt, die sich nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz als Fälschungen herausstellen. Inszenierte Beiträge, mit Statisten nachgestellte Aufreger, als Wahrheiten verkauft.
Der Täter: Michael Born. Lebemann, TV-Journalist, Interviewer, Kriegsberichterstatter, seit langem im Geschäft. Er nutzt Vertrauen aus, profitiert von Sorglosigkeit, Zeitdruck und Schlamperei, findet Lücken in redaktionellen Kontrollsystemen und wird begünstigt vom ewigen Kampf der Sender um Skandale und Schlagzeilen.
Die Häme gegenüber dem erfolgreichen Privatsender RTL kennt zunächst kaum Grenzen. Als jedoch bekannt wird, dass Born auch das ZDF beliefert hatte, bricht der stetig schwelende Kampf zwischen den öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten um Glaubwürdigkeit und Authentizität offen aus.
Dies ist die Geschichte von Michael Born. Eines Selfmade-Journalisten, der zum Betrüger wurde. Sie ermöglicht authentische Einblicke in die Strukturen der Produktion und Auswahl von TV-Nachrichten. Im Zentrum steht der Zeitzeugenbericht von Thomas Pritzl, damals als freier Presseredakteur in der Redaktion von ›stern TV‹ beschäftigt. Minutiös zeichnet er die Fälschungen von Born nach.
Auch nach dessen Haftentlassung blieb er Borns Gesprächspartner.

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Description

1995: Ein Medienskandal erschüttert das wiedervereinigte Deutschland. Privatsender geraten in heftige Kritik. Diesmal geht es nicht um Nacktheit, Verschwörungstheorien, plakative Stasi-Enthüllungen aus den neuen Bundesländern, FKK-Berichte von der Ostsee oder TV-Krawall. Nicht um die massive Zuschauerabwanderung fort von den öffentlich-rechtlichen Sendern zu Sat.1, welches seit 1992 die Bundesliga zeigt, oder zu RTL mit der exklusiven Formel 1. Nicht um Late Shows, die aus den USA kopiert und schnell beim deutschen Publikum populär werden. Thomas Koschwitz floppt, Thomas Gottschalk hält es drei Jahre aus – allein Harald Schmidt fasziniert und spaltet die Nation länger als ein Jahrzehnt. Über Nacht steht nicht mehr die Überalterung des Publikums von ARD und ZDF im Zentrum des Entsetzens der Werbekunden (RTL-Chef Helmut Thoma nannte sie die »Kukident«-Sender), sondern Fälschungen, inszenierte Berichte, mit Statisten nachgestellt. Als Wahrheiten verkauft.
Der Täter: Michael Born. TV-Journalist, Kriegsberichterstatter, seit langem im Geschäft. Aus ersten Manipulationen wurden bald vollkommen frei erfundene Beiträge. Geschädigt: besonders ›stern TV‹ und Günther Jauch, der neue Star am Himmel der TV-Magazine. Nach der Enttarnung folgten für Born Verurteilung und Haftstrafe, eine Zeit im Ausland und letztlich der frühe Tod im Jahr 2019. Nicht ohne Ironie ist festzustellen: Wäre Born nur wenige Jahre später tätig gewesen, hätte er Podcasts, Scripted Reality Formate, Influencing und die Möglichkeiten von Social Media gekannt und sich in diesen austoben dürfen, wäre er wohl ein Star der alternativen Berichterstattung geworden.
Das Buch folgt den Beobachtungen von Thomas Pritzl, damals für die Pressearbeit der ›stern TV‹-Redaktion zuständig. Es zeichnet den Skandal aus der Insider-Perspektive nach und verdeutlicht, wie Betroffene und die Öffentlichkeit auf die Vorwürfe reagierten, welche Fehler gemacht wurden und wie sich Dritte in den Skandal einbrachten, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Es ist die umfangreich ergänzte, aktualisierte und überarbeitete Neuherausgabe seines Buches »Der Fake-Faktor« von 2006, erweitert um Vor- und Geleitworte sowie medienanalytische Betrachtungen zur Bedeutung und Analyse von Nachrichten.
Der Herausgeber Stefan Piasecki nahm zudem Einblick in die Gerichtsakte des Verfahrens im Archiv der Staatsanwaltschaft Koblenz und überprüfte Sachverhalte und Aussagen.
Zum Zeitpunkt des Ersterscheinens von »Fake-Faktor« im Jahr 2006, ein Jahrzehnt, nachdem sich der TV-Fälscher Michael Born wegen dreiundzwanzig mehr oder weniger intelligent gefälschter TV-Beiträge vor Gericht als mutmaßlicher Betrüger zu verantworten hatte, ging die Branche diesem Kapitel deutscher Mediengeschichte aktiv aus dem Weg. Von Star-Moderator Günther Jauch – seine Sendung ›stern TV‹ war Hauptabnehmer der so genannten ›Fakes‹ gewesen – bis hin zum mittlerweile verstorbenen Chef des ZDF-Magazins Frontal Bodo H. Hauser: Anfragen von Thomas Pritzl wurden mit Schweigen beantwortet, Rückrufe passierten gar nicht oder wenn, dann mit eingeschränkter Auskunftsbereitschaft. Unisono hieß es: Material sei nicht länger auffindbar oder längst gelöscht. Überhaupt: wen interessiere die Story noch?
Wie sonst sollte dies gewertet werden, wenn nicht als Indiz dafür, dass die Affäre, welche Zuschauer, Medien und Politik 1996 in Atem hielt sowie den TV-Journalismus erschütterte, nach wie vor Unbehagen auslöste? Umso erstaunlicher, dass nach Borns Verurteilung zu vier Jahren Haft weder die Hintergründe um die Fakes und den Prozess, noch die Konsequenzen daraus öffentlich je wieder eine große Rolle spielten. Was blieb damals Pritzl, der den größten Betrugsfall in der gesamtdeutschen TV-Geschichte rekonstruieren wollte, anderes übrig, als sich auf Spurensuche zu begeben, um durch eine Auswertung von mehr als eintausend veröffentlichten Berichten, Kommentaren sowie Interviews in Tages- und Wochenzeitungen, Fachmedien, Magazinen oder dem Fernsehen den Ursachen der damaligen Ereignisse so nah wie möglich zu kommen?

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Skandal und fast 20 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung erhielt Pritzl jetzt Verstärkung:
Der ehemalige SPIEGEL-Redakteur und Medienmanager Hartmut M. Volz denkt in seinem Vorwort über Beweggründe für journalistische Fälschungen und die Dualität von Richtig und Falsch nach.
Prof. Dr. Dr. Stefan Piasecki tauchte in die Archive ein und studierte die Gerichtsakte, die zuvor nicht zur Verfügung stand. Darüber hinaus ergänzt er das Buch mit einer analytischen Betrachtung von Nachrichtenwerten und -analysen.

Auf diese Weise entstand neben dem damaligen Tatsachenbericht jetzt ein Sachbuch, das den Skandal aufarbeitet und die Funktionsweise der Medien sowie das Innenleben des dualen deutschen Sendersystems plastisch beschreibt. Dieses hat durch die Affäre um Schleichwerbung bei der ARD im Sommer 2005 und die jüngeren bekanntgewordenen Medienfälschungen sowie die Finanzskandale bei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten abermals eine hohe Aktualität.
Damit richtet es sich sowohl an Interessierte der jüngeren deutschen Mediengeschichte, journalistisch Tätige, als auch an Studierende geisteswissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Fächer.

Die Autoren:

Fake-News, Fälschungen und Fiktionen. Wie ›stern TV‹ in der Born-Affäre gelinkt wurde 2Thomas Pritzl bewertet im Rückblick seine Zeit bei ›stern TV‹ als ›Jugendsünde‹. Er hatte als PR-Verantwortlicher den bis dahin größten Fälschungsskandal im deutschen Fernsehen hautnah miterlebt. Ohne diese Erfahrung hätte »ich nicht annähernd eine Idee von der Manipulation der Realität hinter den TV-Kulissen mit auf den Berufsweg genommen«, resümiert er. Nach dem Skandal wurde er Autor beim kürzlich von RTL übernommenen Verlag Gruner + Jahr sowie der »Wirtschaftswoche« und dem »Handelsblatt«.
Er war in führenden deutschen PR-Agenturen für Mandate aus dem Energie- und Finanzsektor tätig, bevor er PR-Chef einer Investmentgruppe wurde. Seit dem Finanzcrash 2007/2008 ist er internationaler Berater für ›gute Regierungsführung‹ in Afrika, Asien und der Karibik.

 

 

Fake-News, Fälschungen und Fiktionen. Wie ›stern TV‹ in der Born-Affäre gelinkt wurde 3Stefan Piasecki ist Professor für Soziologie und Politikwissenschaften in NRW sowie Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten und internationaler Vortragsredner. Bei der FSK in Wiesbaden ist er als Jugendmedienschützer mitverantwortlich für die Altersfreigaben von Spielfilmen.
Er beschäftigt sich bevorzugt mit den Wechselwirkungen von Medien, Religion und Gesellschaft und verfasst in seiner Freizeit Romane, die auf präzisen Recherchen beruhen. Seine Schwer-punkte sind Medien, Gesellschaft und Technologien.